Alan Wake 2 im Test: Meilenstein der modernen Erzählkunst

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Remedy Entertainment ist mit Alan Wake 2 das gelungen, worauf ich seit vielen Jahren gewartet habe. Es hat den Zauber zurückgebracht, den das Medium Computerspiel mir einst geschenkt, den die Jahre, das Älterwerden und der Mangel an Zeit mir aber wieder genommen haben. In seinem Rausch aus Wahnsinn, visueller Verführung und nervenzerfetzendem Taumel spüre ich endlich wieder so etwas wie Begeisterung.

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Foto: Remedy Entertainment

Um das Erlebnis Alan Wake 2 in vollem Umfang genießen zu können, habe ich mich eine Woche lang dem Remaster des Vorgängers und Remedy Entertainments Videospiel Control mitsamt seinen Erweiterungen The Foundation und AWE gewidmet. Rückblickend würde ich sagen, das ist auch unbedingt nötig gewesen, denn nur mit Kenntnis beider Titel lässt sich das beeindruckende Erlebnis, das Alan Wake 2 ist, auch völlig erfassen. Nur durch die lange Vorbereitung, die auf den Punkt komponierte Erzählung, den präzise ausgebreiteten Trip entfaltet sich Alan Wake 2 zu dem, was es ist: ein Meilenstein, ein vollkommenes Meisterwerk der Computerspielgeschichte.

Erfahre in unserem Test, was das Besondere an Alan Wake 2 ist und warum wir es für eines der besten Spiele halten, die jemals entwickelt wurden.

Inhalt

Was bisher geschah

Alan Wake 2 fällt nicht aus dem Nichts. Über Jahre hinweg hat Remedy Entertainment ein Universum geformt, das zu den interessantesten und geheimnisvollsten seiner Art in der gesamten Videospielgeschichte, wenn nicht auch noch über das Medium Videospiel hinaus gehört. In kunstvoller Vollendung arbeiten die visuelle Gestaltung, das Sound-Design und last but not least das Storytelling zusammen.

Von Alan Wake Remastered, über Quantum Break und Control mit seinen Erweiterungen, bis hin zu Alan Wake 2 erzeugen sie einen unbeschreiblichen Sog, einen Rausch aus Farben, Tönen und Gedanken. Auf betörende Art nehmen sie euch mit auf eine Reise, die ihr nie wieder vergessen werdet.

Wenn man sich unbedingt auf ein Genre einigen möchte, dann sind Alan Wake Remastered und Alan Wake 2 ein vor Energie triefender Cocktail aus Survival-Horror, Action-Adventure, Rätselspiel und Shooter. Alan Wake 2 weist lange Passagen auf, in denen ihr einfach nur durch die extrem gut gestaltete Umgebung von Bright Falls – einem fiktiven Ort an der Westküste der USA – streift, oder durch das nächtliche New York und seine U-Bahn-Tunnel irrt. Fast kann ich sagen, dass mir die ruhigen Phasen des Spiels am besten gefallen. Denn dann habe ich das Gefühl, die Atmosphäre packt mich am meisten. In böser Vorahnung, was mich hinter der nächsten Hoteltür oder in dem nächsten dunklen Wald erwartet.

So ging es weiter

Quantum Break – übrigens das Spiel von Remedy, das (Death Rally und die Spiele um Max Payne einmal außen vorgelassen) am wenigsten als Voraussetzung zum vollen Alan-Wake-2-Erlebnis verstanden werden kann – ist ein Shooter, der altbekanntes Spielprinzip um Manipulationen der Zeit und des Raums erweitert. Und schließlich Control, das ein Zusammenspiel aus Shooter-Gameplay und Telekinese-Fähigkeiten in absoluter Perfektion in eine magische Form bringt.

Nie fühlte sich in einem Spiel der Rhythmus aus Schießen, Deckung suchen, mit Gegenständen werfen und durch die Luft gleiten in seinem tödlichen Stakkato stimmiger an als in Control. Das Ganze getragen von einer düsteren, fesselnden Story, die genau so fragmentarisch und so cool erzählt ist, dass sie sich irgendwie seltsam relevant anfühlt.

Screenshot aus Alan Wake 2, der das Innere eines Diners zeigt mit einer FBI-Agentin.

Foto: Remedy Entertainment

Das Art-Design ist in allen Titeln außergewöhnlich. In Control sticht es aber vielleicht gerade wegen seiner Subtilität besonders heraus. Außerdem ist das kafkaeske Oldest House, Schauplatz der Handlung von Control, einfach ein brillanter Rahmen für das Geschehen voller Geheimnisse.

Das alles bereitet den Weg für die Größe, die Alan Wake 2 im Test erreicht. Mit dem ganzen Gewicht des Remedy-Universums starrt man gebannt auf den Bildschirm, als die erste Szene von Alan Wake 2 beginnt.

Die Story von Alan Wake 2

Alan Wake 2 zeigt sich im Test als das erzählerisch sowohl ambitionierteste Spiel von Remedy als auch das psychologischste aller in diesem Universum angesiedelten Spiele aus. Ich würde behaupten: Ohne Alan Wake Remastered oder Control mit insbesondere der Erweiterung AWE gespielt zu haben, wird sich euch die Geschichte von Alan Wake 2 keinesfalls erschließen und euch vielleicht – schlimmer noch – als zu abgedreht erscheinen. Also – falls noch nicht geschehen – nehmt euch die Zeit, spielt euch durch die vorbereitenden Titel. Denn dann macht das Abgedrehte Sinn und ihr könnt euch dem audiovisuellen Feuerwerk dieses Ausnahmespiels voll und ganz hingeben.

Im ersten Teil der Serie habt ihr den erfolgreichen New Yorker Schriftsteller Wake durch Bright Falls in Washington im Nordwesten der USA gesteuert. Als auf der Reise seine Frau verschwindet, begibt sich Wake auf die Suche nach ihr. Immer tiefer wird er hineingesogen in einen Strudel dunkler Mächte, mysteriöser Ereignisse und psychologischen Abgründen. In Hinsicht auf das Gameplay war der erste Teil der Serie in Ordnung, nicht herausragend. Aber welche Fähigkeiten Remedy in Sachen Atmosphäre, Worldbuilding und Storytelling vorzeigen kann, das hat Wakes erstes Abenteuer schon erahnen lassen.

Alan Wake 2 setzt die Story des ersten Teils nahtlos fort. Zwar sind rein zeitlich ein paar Jahre vergangen, doch aufgrund der Umstände spielt das für Wake keine größere Rolle. Die düstere Stimmung ist von der ersten Sekunde an zum Schneiden dicht. Schon während wir durch den ersten Wald in Richtung des Ufers von Cauldron Lake wandern, ist klar: Das hier wird etwas ganz Besonderes. Hier haben wir etwas Großes vor uns.

Das ist neu

Anders als bisher spielt ihr nicht mehr nur eine einzige Person, sondern ihr wechselt zwischen der FBI-Agentin Saga Anderson und dem aus dem ersten Teil bekannten Schriftsteller Alan Wake hin und her. Im Test zeigt sich, dass dieser Perspektivwechsel richtig gut funktioniert. Mit Saga klärt ihr zunächst einen Mord am Ufer des Cauldron Lake im Nordwesten der USA auf. mit Alan Wake dagegen erkundet ihr das nächtliche New York und die Labyrinthe der New Yorker U-Bahn. Einige Schauplätze werden euch bekannt vorkommen. Andere sind neu.

Das Besondere sind neue Spielelemente wie Sagas Gedankenraum und Alan Wakes Fähigkeit, Szenen umzuschreiben. Beides erzeugt ein ungeheuer gutes Pacing. An anderer Stelle aber auch blanken Horror. Besonders die Ritualszenen in der New Yorker Umgebung sind verstörend. Allen voran der Schauplatz mit den verbrannten Körpern in einem U-Bahn-Wagen.

Nach und nach findet ihr mit Saga mehr über den Mord heraus und helft Wake aus der Dark Presence zu entkommen. Beide Geschichten verweben sich und bald schon müssen Saga und Alan zusammenarbeiten, um nicht von der Dark Presence verschlungen zu werden.

Viel mehr möchten wir hier in unserem Test gar nicht sagen, denn die Entwicklung der Geschichte ist eines der aufregendsten Elemente von Alan Wake 2. Nur eines sei verraten: Ihr dürft euch auf ein Wiedersehen mit Ahti dem Janitor freuen!

Unvergessliche Momente

Es fehlt in der Serie nicht an enorm gut pointierten, ekstatischen Momenten. Alan Wake Remastered mit der Show auf dem Festival-Gelände der Old Gods of Asgard mitten im Nichts, während eine Armee von Takens versucht, die Bühne zu stürmen. Control mit den ersten Auftritten von Ahti, dem Janitor – einem der großartigsten Videospiel-Charaktere aller Zeiten. Und später Controls denkwürdiges Ashtray-Labyrinth – nie habe ich mich in einem Videospiel so mächtig und so inspiriert gefühlt. Und schließlich Alan Wake 2 selbst.

Die Szenen in der New Yorker U-Bahn verschaffen mir Alpträume, der Loop im Wald am Cauldron Lake lässt mich mit purer Verzweiflung zurück. Und als ich durch Dr. Door’s Night Show taumele, während ich zum Musical-Star werde und die Grenzen zwischen Computerspiel, Musikvideo und interaktivem Film verschwimmen, fange ich an zu grinsen und denke: Ja, verdammt, das ist es, deshalb ist meine Lust auf das Spielen wieder da. Das ist erwachsenes Gameplay. Remedy gelingt hier das, woran die meisten anderen scheitern: Die Grenzen des Mediums Videospiel werden hier so kunstvoll ausgeleuchtet, versetzt und neu gezogen, dass es einen mit Schaudern und vor Freude zitternd zurücklässt.

Die Alan-Wake-Haus-Band Old Gods of Asgard tritt übrigens in einigen der Spiele im Remedy-Universum auf. Immer wieder begleiten sie das Spielgeschehen mit ihrem epischen Metal. Die Verschmelzung der einzelnen Kunstformen gelingt hier wieder aufs Neue mit bemerkenswerter Stilsicherheit. Hinter der Band steckt die reale Band Poets of the Fall aus Finnland, die schon zahlreiche Alben aufgenommen hat.

Die Technik von Alan Wake 2

Grafisch zieht Alan Wake 2 alle Register. Mit aktiviertem Ray- und Path-Tracing in UHD-Auflösung am PC sehen Bright Falls und das nächtliche New York mit seinen regennassen Leuchtreklamen wie aus einer fernen Zukunft der Videospieltechnik herbeigeholt aus. Die Welt ist so perfekt auf den Punkt gestaltet, da stimmt absolut jedes Detail. Die Schauplätze sind stimmungsvoll ausgewählt. Der Wald und das Ufer von Cauldron Lake, Bright Falls und der finstere Jahrmarkt von Watery, Parliament Tower und die Straßen von New York. Auch das Oceanview Hotel, das Kino und das Studio der Late Night Show sind einfach nur genial.

Und alles harmoniert ausgesprochen gut mit den Möglichkeiten der Northlight-Engine. Beleuchtung, Detailgrad und Architektur sind einfach nur atemberaubend. Die Geräusche der Takens lassen mir die Haare zu Berge stehen, wenn sie in der Dunkelheit Wakes Namen rufen.

Übrigens: Die teils recht harten Passagen des Vorgängers, in denen ihr vor den Takens in den Wäldern Washingtons fliehen musstet, sind deutlich reduziert. Das macht Wakes zweites Abenteuer zu einem deutlich weniger frustrierenden Erlebnis als es das erste war. Die Präsentation und die Stimmung stehen dieses Mal deutlich im Vordergrund.

So schlägt sich das Spiel im Test

In unserem Test haben wir an Alan Wake 2 im Grunde rein gar nichts auszusetzen. Das Spiel ist eines der besten Spiele, das wir jemals gespielt haben. Klar, wenn ihr sofort gelangweilt seid, wenn ihr mal eine Zeit lang nur durch die Gegend spazieren müsst, ohne viel Action, dann könnte es sein, dass ihr mit dem Spiel weniger glücklich werdet.

Auch, wenn ihr kategorisch Horror-Spiele ablehnt, dann solltet ihr einen Bogen um das Spiel machen, denn die Horror-Sequenzen – insbesondere in der U-Bahn und dem Oceanview Hotel – haben es teilweise ganz schön in sich.

Aber allen anderen von euch sei gesagt: Spielt dieses Spiel, denn es ist etwas ganz Besonderes!

Offizieller Trailer von Alan Wake 2

Ich habe Alan Wake 2 für diesen Test auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad gespielt. Ein einziges Mal habe ich für eine kurze Sequenz auf den einfachen Schwierigkeitsgrad gewechselt, weil ich mit sehr wenig übriggebliebener Munition ein paar von den stärkeren Takens gegenüber stand. Und an speziell dieser Stelle war der letzte Checkpoint in etwas weiterer Entfernung. Grundsätzlich kann ich aber sagen, dass der Schwierigkeitsgrad alles in allem ganz gut abgestimmt ist. Und ungünstig platzierte Checkpoints sind eher die Seltenheit, beziehungsweise unterstreichen die bedrohliche Atmosphäre, ohne zu nerven.

Test-Fazit zu Alan Wake 2

Das Test-Fazit zu Alan Wake 2 fällt für uns vollkommen eindeutig aus. So wenig zu kritisieren und so viel zu feiern haben wir selten. Das Spiel bekommt von uns ohne Diskussion die volle Punktzahl. Wir empfehlen es allen, die nur im Entferntesten an Videospielen interessiert sind und die nicht sofort über das nächste Gebirge hüpfen, wenn sie von Horror oder Walking Simulator hören.

Die einzige Ratlosigkeit, die das Spiel hinterlässt, ist die Frage: Wie lange müssen wir noch auf das nächste großartige Spiel von Remedy Entertainment warten? Denn ab jetzt zählen wir die Tage, bis wir uns endlich in das nächste Abenteuer mit Jesse Faden stürzen können. Dann, wenn Control 2 endlich den Weg auf unsere Bildschirme findet.

Test-Wertung

Getestetes Spiel:Alan Wake 2
Zusammenfassung:Alan Wake 2 ist ein Meisterwerk in den Bereichen Storytelling und Atmosphäre und damit ein Meilenstein der Videospielgeschichte.
Autor:Simon Rucker
Bewertung:5 (von 5)

Weitere Informationen zu Alan Wake 2

Veröffentlichungsdatum: 27. Oktober 2023
Entwickler: Remedy Entertainment aus Finnland
Publisher: Epic Games aus den USA
Genre: Action-Adventure
Spielzeit: ungefähr 20 Stunden
Link zum Spiel bei Epic Games