Control im Test: Geheimnisse des ältesten Hauses

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Mit Control legt das finnische Studio Remedy Entertainment ein Spiel vor, das die Messlatte für Third-Person-Shooter für die nächsten Jahre deutlich höher legt.

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Foto: Remedy Entertainment

Ich gebe es zu: Control hat mich anfangs nicht besonders gereizt. Seit drei Jahren schlummerte es in meiner Bibliothek, seitdem ich unwissend und halbherzig in einem Sale zugegriffen habe. Jetzt, Jahre später, zwingt mich eine Erkältung dazu, mehrere Tage zu Hause zu bleiben. Ich will die Zeit nutzen und Alan Wake 2 spielen. Doch ich beschließe, zur Vorbereitung die bisherigen Remedy-Spiele zu spielen, die allesamt im selben Universum angesiedelt sind.

Nach Alan Wake Remastered ist also Control mitsamt seiner Erweiterungen The Foundation und AWE an der Reihe. Und holy crap, das Spiel entfaltet seine Wirkung wie ein Donnerschlag in aufgeladener Sommernacht. Erfahrt in unserem Test, warum Control ein unvergleichliches Erlebnis ist und warum alle, bei denen es noch in irgendwelchen Bibliotheken schlummert, es jetzt herausholen sollten.

Inhalt

Die Geschichte

Zunächst denke ich, das Control eine schlichte Aufgabe ist, die ich erledigen muss, um Alan Wake 2 in vollem Maße genießen zu können. Ich weiß nicht besonders viel über das Spiel, nur dass es wohl einige Hinweise auf die weitere Entwicklung der Geschichte um den Schriftsteller Wake geben soll. Ich stürze mich ohne Vorkenntnisse, ohne Erwartungen und zugegebenermaßen auch ohne große Lust in das Abenteuer.

Doch schon die ersten paar wenigen Minuten wecken mein Interesse. Und nach einer weiteren Stunde im Spiel, vielleicht, als ich die ersten Worte mit Ahti, the Janitor wechsle, spätestens, als der finstere Zwischenboss Tommasi aus seiner geborstenen Wand kriecht, da ist mir klar, das ich hier etwas Großartiges vor mir habe.

Control ist ein Third-Person-Shooter, der in einer einzigen Location spielt. Ihr übernehmt die Rolle der Protagonistin Jesse Faden, die auf der Suche nach ihrem verschwundenen Bruder ist. Eigentlich ist das nicht die ganze Wahrheit, denn tatsächlich übernehmt ihr nicht die Rolle von Faden, sondern von einer Energie im Innern ihres Bewusstseins – ich weiß nicht, wie ich es besser ausdrücken kann, ohne zu viel zu verraten.

Fadens Bruder ist nach einem unerklärlichen Ereignis in beider Kindheit verschwunden. Faden erinnert sich daran, dass Agenten des sogenannten Federal Bureau of Control (FBC) beteiligt waren, einer US-Bundesbehörde, die mit der Aufklärung geheimnisvoller Ereignisse beauftragt ist. Das Spiel beginnt, als ihr das Gebäude des FBC betretet, einem dunklen Hochhaus ohne Fenster, das Oldest House in New York City. Es ist ein regnerischer Tag und aus eurem Gesicht spricht eiskalte Entschlossenheit.

Screenshot von Control, der den Steinbruch zeigt.

Foto: Remedy Entertainment

Schnell merkt ihr, dass hier etwas nicht stimmt. Auf sonderbare Art und Weise scheint ihr erwartet zu werden. Und was noch viel schlimmer ist: Offenbar hat es einen Zwischenfall in den Räumen des FBC gegeben, in dessen Folge entsetzliche Dinge geschehen sind. Und mit einem Mal seid ihr mittendrin in einer beklemmenden und gleichzeitig bezaubernden Odyssee durch die Abgründe und Geheimnisse des Oldest House.

Das Spielprinzip

Vordergründig handelt es sich bei Control um einen Third-Person-Shooter. Ihr steuert Jesse Faden durch die Büros, die Maschinenräume, die Cafeterien, Treppenhäuser und Hallen des Oldest House. Später durch den Keller, einen Steinbruch und durch einige weitere geheimnisvolle Bereiche des labyrinthartigen Gebäudes. Mit zusätzlichen Aufträgen wird euch der Zugang zu immer weiteren Räumen gewährt. Und so dringt ihr immer tiefer in die Winkel der verworrenen Architektur vor.

Dadurch wird das Spiel zu einer Art Metroidvania. Doch wer bei diesem Wort vor Schreck vom Gaming-Stuhl fällt, den kann ich direkt wieder beruhigen. Ich bin da selbst ziemlich empfindlich und die Grenze zwischen Metroidvania und Arbeit ist bei mir recht schnell überschritten, sodass ich normalerweise Spiele dieses Genres absolut meide. Doch Control zeigt im Test, dass es das Prinzip sehr gut löst. Backtracking und stressiges Wegesuchen nehmen gefühlt nur einen kleinen, winzigen Teil des Spiels ein und sind dank der extrem gut gestalteten Umgebungen nie langweilig.

Wie üblich in Third-Person-Shootern habt ihr eine Waffe dabei. Anders als in den meisten anderen Third-Person-Shootern habt ihr nur eine Waffe dabei. Und zwar die Dienstwaffe des Direktors des Federal Bureau of Control. Diese Waffe könnt ihr mit zunehmenden Fähigkeiten (ja, ihr könnt Jesse Fadens Fähigkeiten aufleveln) ausbauen und modifizieren. Dazu kommen telekinetische Fähigkeiten und athletische Fähigkeiten.

Die Steuerung ist bemerkenswert gut gelungen. Mit fortschreitendem Level erzeugt sie einen herrlichen und zutiefst befriedigenden Rhythmus aus Schießen, Werfen und Gleiten. Die Umgebung ist zerstör- und benutzbar und das Feuerwerk, das die Gefechte erzeugen, entfaltet eine ungeheure audiovisuelle Wirkung. Die Gegner sind unheimlich und unglaublich gut gestaltet und ergänzen die Atmosphäre des ältesten Hauses perfekt.

Die Aufträge, die Faden auf der Suche nach ihrem Bruder erledigen muss, sind abwechslungsreich, dramatisch, schockierend und gleichzeitig wunderschön. Remedy ist hier eine epische Einheit gelungen, die von äußerst gutem Ray Tracing und einer großartigen Gestaltung der Schauplätze wunderbar getragen wird.

Die Ästhetik von Control

Zwar sind die Flure, die Räume, die Hallen und Keller in Control nicht die Mutter des Abwechslungsreichtums. Aber dennoch ist das alles in sich vollkommen stimmig und Dank der perfekt inszenierten Licht-, Nebel-, und Beleuchtungseffekte, der schwebenden Toten, der Geräusche, die sie machen und dem Gefühl für etwas Großes und Bedeutendes, das im Oldest House lauert, in keinster Weise zu wenig.

Screenshot von Control, der eine Kampfszene zeigt.

Foto: Remedy Entertainment

Jesse Fadens Geschichte entfaltet sich mit jedem weiteren Bereich. In aufwendig produzierten Zwischensequenzen werden einzelne Szenen erzählt, die Dialoge sind minimalistisch und richtig cool inszeniert.

An vielen Stellen findet ihr Dokumente und Videoschnipsel, die weitere Details der Story erzählen. Und obwohl ich solche Dinge normalerweise skippe, lese ich in Control alles und schaue mir jedes Filmchen an. Alles fühlt sich wichtig und in hohem Maße spannend an, ich möchte alles in mir aufsaugen. Wie es genau passiert, weiß ich nicht, aber irgendwie ist es den Autoren hier gelungen, mit wahnsinnig gut pointierten Inhalten alles auf eine höhere Bedeutungsebene zu bringen.

Die Gestaltung der Bosse ist überragend. Die Dramaturgie, der die Bosskämpfe folgen, ist wunderbar ausgeklügelt. Übrigens: Das hier ist kein Dark Souls. Ihre bedeutungsvolle Größe erhalten die Kämpfe nicht durch bloße Härte und Brachialität, sondern durch ihre Umgebungen, durch den Zeitpunkt, zu dem sie stattfinden und dadurch, wie sie durch das Storytelling aufgeladen werden. Und besonders schwer ist Control nicht. Alles – auch die Bosskämpfe sind gut meisterbar. In unserem Test zeigt sich, dass Control als Ganzes nirgendwo frustrierend ist und euch immer wieder gut abholt, wenn ein Versuch beim ersten Mal nicht gelingt.

Das System mit den Speicherpunkten ist sehr, sehr gut gelöst. Und wenn euch ein Kampf mal etwas zu schwer erscheint, dann hilft es eigentlich immer, nach alternativen Herangehensweisen zu suchen oder eine andere Einstellung der Dienstwaffe auszuprobieren. Das ist richtig gut gelöst und auf diese Art bereitet uns Control beim Testen große Freude.

Die Erweiterungen

Control hat insgesamt zwei Erweiterungen, nämlich The Foundation und AWE. Ich lege euch ans Herz, spielt sie beide. The Foundation schickt euch in den Keller des ältesten Hauses. Wobei Keller ein sehr schwaches Wort für das ist, was ihr dort vorfindet. Die Aufträge, die ihr dort zu erledigen habt, gehören zu den am stärksten surrealen Abschnitten von Control. Die Level-Designer haben sich hier selbst übertroffen und es ist ein wahres Fest, die aberwitzigen Konstruktionen zu erkunden, die dabei auch noch unverschämt gut aussehen.

AWE zeigt sich im Test wieder als etwas bodenständiger. In der zweiten Erweiterung von Control erforscht ihr mehrere geheimnisvolle Ereignisse genauer, für deren Untersuchung das Federal Bureau of Control zuständig war. Und hier wird die Verbindung zu Alan Wake gezogen. Denn eines der Ereignisse ist das Verschwinden des berühmten Schriftstellers, das ihr in Alan Wakes erstem Abenteuer selbst gespielt habt. Ihr erfahrt etwas mehr über die Hintergründe und somit ist Control eine absolut lohnende Vorbereitung für das Spielen von Alan Wake 2.

Das Spiel und beide Erweiterungen sind inzwischen übrigens als eine Ultimate Edition erhältlich.

So schlägt sich das Spiel im Test

Wie ihr unschwer aus dem bisher Geschriebenen erkennen könnt, feiern wir Control und es ist völlig klar, dass sich Control in unserem Test extrem gut schlägt. Selten hatten wir so viel Freude in einem Spiel, haben es so konzentriert und begeistert durchgespielt.

Control ist ein weiterer Beweis dafür, wie gut die Leute um Sam Lake bei Remedy Entertainment ihr Handwerk beherrschen.

Offizieller Trailer von Control

Die einzelnen Spielmechaniken von Control arbeiten in vollkommener Art und Weise zusammen. Das Gefühl der Macht und der Sog und das Geheimnisvolle der Welt, das ich spüre, wenn ich mich durch die verschiedenen Bereiche des ältesten Hauses kämpfe, während ich das Geheimnis von Jesse Fadens Bruder lüfte und dabei in die Abgründe des Federal Bureau of Control hinabsteige, sind einfach unbeschreiblich.

Ich treffe faszinierende Charaktere, allen voran den Hausmeister Ahti. Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken hinunter, als ich den Gefangenen in einer Zelle finde, der mich bittet, ihn abzulösen. Und ich bin erschrocken, irritiert und begeistert, als ich schließlich das Geheimnis des Hauses entdecke.

Und ganz nebenbei gelingt es Control, eine der coolsten, genialsten, magischsten Passagen der ganzen Videospielgeschichte vorzulegen. Ich sage nur: Ashtray-Labyrinth. „Take Control!“, meine Freunde.

Test-Fazit zu Control

„Eine ernstgemeinte Warnung: Das hier wird seltsamer als üblich“. So beginnt der Trailer von Control. Das sind die Worte Jesse Fadens. Und genau das ist es, was Control ausmacht. Eine surreale, eine einzige faszinierende Spielerfahrung. Ein ernstes Spiel, ein humorvolles Spiel, ein aufregendes, düsteres, unvergessliches Spiel. Und dazu noch ein wunderschönes.

Ich jedenfalls erinnere mich nach zwanzig Stunden und einer Reise durch das Oldest House nur noch sehr vage daran, dass ich eigentlich gar keine große Lust auf das Spiel hatte. Denn was nun hinter mir liegt, ist ein Erlebnis, das ich nie mehr vergesse. Eine Erinnerung, auf die ich nicht mehr verzichten möchte. Eine Zeit, die sich für immer in mein Hirn eingebrannt hat.

Control ist eine klare Empfehlung für alle, die etwas mit gut gestalteten Videospielen, mit audiovisuellen Erfahrungen anfangen können, die für ein toll designtes Gefüge aus Gefühlen und Geheimnissen etwas übrig haben. Control zeigt sich im Test als ein einmaliges Erlebnis, als eine Reise, die von Anfang bis zum Ende begeistert und deshalb von uns die volle Punktzahl bekommt.

Übrigens: Die Musik, die die atemberaubende Erfahrung im Ashtray-Labyrinth untermalt und trägt, stammt von der Band Old Gods of Asgard aus den Alan-Wake-Geschichten, die im realen Leben Poets of the Fall heißt. Das Oldest House erinnert stark an das legendenumwobene Hochhaus 33 Thomas Street in Lower Manhattan, New York, ein fensterloser Wolkenkratzer.

Test-Wertung

Getestetes Spiel:Control
Zusammenfassung:Faszinierender Third-Person-Shooter, dessen berauschender Rhythmus uns durch ein unvergessliches, wunderschönes Labyrinth führt.
Autor:Simon Rucker
Bewertung:5 (von 5)

Weitere Informationen zu Control

Veröffentlichungsdatum: 27. August 2019
Entwickler: Remedy Entertainment aus Finnland
Publisher: 505 Games aus Italien
Genre: Third-Person-Shooter
Spielzeit: ungefähr 21 Stunden (mit Erweiterungen)
Link zum Spiel bei Steam